Neben den regulären Filmbesprechungen, welche hier auf wordspersecond. erscheinen, veröffentliche ich zusätzlich auf Letterboxd und Moviepilot zumeist etwas kürzere Reviews. Die seither erschienenen Kurzreviews werden nachträglich noch einmal gebündelt und jeden letzten Freitag im Monat unter der Rubrik monthly shorts. auf diesem Blog veröffentlicht werden.

MID90S
OT: MID90S | Land & Jahr: USA, 2018 | Regie: Jonah Hill | Darsteller:innen: Sunny Suljic, Katherine Waterston, Lucas Hedges u.a. | Freigabe: FSK 12 | Laufzeit: ca. 85 min
Authentisch. Dieses Wort beschreibt MID90S wohl am besten.
Es ist schon beeindruckend, mit wie viel Feingefühl Jonah Hill in seinem Regiedebüt ans Werk gegangen ist. So ziemlich alles an diesem Coming-of-Age-Film, indem sich ein 13-jähriger Junge mit einer kleinen Gruppe von Skatern anfreundet und nun mit ihnen gemeinsam dem Erwachsenwerden entgegenpusht, wirkt natürlich und ehrlich.
Fast hätte es den Anschein, als betrachte man ein „Home Movie“ und keinen Spielfilm. Dies wird auch von dem Bildformat von 4 zu 3 unterstrichen – typisch für Amateurfilme oder eben auch Skate-Videos aus eben jener Zeit.
Hinzu kommen für einen Film eigentlich fast schon zu vielschichtige und damit eben nicht stereotype Figuren und ein wirklich wunderbarer Soundtrack. Trent Raznor und Atticus Ross haben wieder einmal wunderschöne Songs komponiert und auch die anderen ausgewählten Tracks passen wie die Faust auf‘s Auge.
Jonah Hill war es nicht nur ein Anliegen, einmal hinter die Kamera zu wechseln und auf dem Regiestuhl Platz zu nehmen, sondern eben auch eine solche Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte über das Aufwachsen, über das zu sich selbst finden in dieser Ära, mitten in den 90ern. Und so ist MID90S eben nicht einfach nur ein Film geworden. MID90S ist ein auf 16mm gebanntes Lebensgefühl.
BEWERTUNG
Letterboxd: 4,5 von 5
Moviepilot: 9 von 10 (Herausragend)

LOVE, SIMON
OT: LOVE, SIMON | Land & Jahr: USA, 2018 | Regie: Greg Berlanti | Darsteller:innen: Nick Robinson, Katherine Langford, Alexandra Shipp, u.a. | Freigabe: FSK 12 | Laufzeit: ca. 110 min
Simon ist, wie er selbst von sich sagt, ein ganz normaler Teenager und unterscheidet sich kaum von all den anderen Teenagern. Nur hat Simon eben ein Geheimnis: Er ist schwul.
Und genauso, wie sich Simon wohl kaum von anderen Teenagern unterscheidet, unterscheidet sich LOVE, SIMON selbst kaum von all den anderen High School-Filmen. Bis auf das er nicht nur eine Coming-of-Age-, sondern eben auch eine Coming-out-Geschichte erzählt.
Das was sich aus der im ersten Absatz genannten Prämisse entspinnt, folgt dabei genretypisch dem ewig selben Konzept, wodurch sich das Ganze ein wenig wie Malen nach Zahlen anfühlt. Was die Erzählung nach Schema F hier aber wieder interessant werden lässt, ist, dass dadurch deutlich wird, dass wir im Grunde alle das gleiche Gefühlschaos durchmachen, wenn es darum geht sich in jemanden zu verlieben. Wir teilen die Unsicherheit, dass diese Liebe nicht erwidert werden könnte. Wir treffen dumme Entscheidungen und hoffen damit niemanden zu verletzen. Und wir hoffen durch die dummen Entscheidungen der anderen selbst nicht verletzt zu werden. Da ist es völlig unerheblich, welche sexuelle Orientierung wir haben oder wie wir uns selbst identifizieren.
Somit ist LOVE, SIMON einer dieser Filme, wo es nicht darauf ankommt, WAS er uns erzählen möchte, sondern vielmehr WIE er uns die Geschichte erzählt. Und das macht er sehr charmant und sympathisch und so ist LOVE, SIMON ein Feel-good-Movie, der am Ende ein wohliges Gefühl hinterlässt.
BEWERTUNG
Letterboxd: 3,5 von 5
Moviepilot: 7 von 10 (Sehenswert)

RAYA UND DER LETZTE DRACHE
OT: RAYA AND THE LAST DRAGON | Land & Jahr: USA, 2021 | Regie: Don Hall, Carlos López Estrada | Darsteller:innen: Kelly Marie Tran, Awkwafina, Gemma Chan u.a. | Freigabe: FSK 0 | Laufzeit: ca. 103 min
Eigentlich hätte RAYA UND DER LETZTE DRACHE ein richtig toller, abenteuerlicher Animationsfilm werden können, denn das Potential wäre durchaus vorhanden gewesen. So wird das Publikum in eine wunderschöne, fantasievolle, exotische Welt geführt, in welcher sich eine junge Frau namens Raya auf die Suche nach einem legendären, magischen Drachen begibt, um die Menschheit vor dem endgültigen Untergang zu bewahren.
Doch leider wurde dieser Disney-Film mit etwas zu viel „Disney“ überzogen und es wurde krampfhaft versucht alle Altersgruppen gleichermaßen anzusprechen. Der gewählte Humor wirkt ebenso Fehl am Platz wie einige Nebenfiguren und zuweilen treffen die Figuren wirklich dumme Entscheidungen, wodurch die daraus resultierenden Konflikte zu konstruiert daherkommen.
Alles in allem ist das sehr schade, denn die Botschaft, die der Film vermitteln will, ist im Grunde lobenswert und top aktuell: Abschottung und Missgunst führt nur zu Konflikten und Kriegen. Wenn wir als Menschheit wirklich in Frieden miteinander leben wollen, dann müssen wir aufeinander zugehen und versuchen bestehende Vorurteile abzubauen.
Doch so ist RAYA UND DER LETZTE DRACHE eben nur ein „okayer“ Abenteuer-Animationsfilm. Darüber können auch die schönen Animationen und die kreativen, visuellen Einfälle nicht hinwegtäuschen.
BEWERTUNG
Letterboxd: 3 von 5
Moviepilot: 6,5 von 10 (Ganz gut)

BEAST
OT: BEAST | Land & Jahr: UK, 2017 | Regie: Michael Pearce | Darsteller:innen: Jessie Buckley, Johnny Flynn u.a. | Freigabe: FSK 16 | Laufzeit: ca. 106 min
Moll lebt bei ihrer gut betuchten Familie auf einer kleinen, britischen Insel. Nach außen wirkt die junge Frau ruhig und unscheinbar, doch innerlich ist sie voller Traurigkeit und Weltschmerz. Als sie versucht aus ihrem tristen Leben auszubrechen, lernt sie den Eigenbrötler Pascal kennen. Dieser scheint eine gewisse Faszination auf sie auszuüben. Doch während Moll sich in den jungen Mann verliebt, steht dieser im Verdacht, für eine Reihe von Morden an jungen Mädchen verantwortlich zu sein. Und so droht nun nach und nach ihre Welt aus den Fugen zu geraten.
BEAST ist ein ruhig erzähltes Drama mit dezenten Thriller- und Mystery-Elementen, ohne dabei jedoch zu unheimlich oder zu übernatürlich zu werden. Drehbuchautor und Regisseur Michael Pearce nimmt sich Zeit, um seine Figuren, allen voran die Hauptprotagonistin Moll, einzuführen und zu charakterisieren. Jedoch versteht er es ebenso, die Spannung immer weiter aufzubauen – auch ohne große Schockeffekte. „Behäbig“ mögen die einen vielleicht dazu sagen, „eindringlich“ die anderen.
Getragen wird der Film dabei von der sehr guten Leistung der beteiligten Schauspieler:innen, allen voran Jessie Buckley in der Rolle der psychisch instabilen Moll ist dabei besonders hervorzuheben. Es ist beeindruckend, wie sie die Transformation, welche die Figur im Verlauf des Films durchmacht, darstellt.
Im Grunde dreht sich in BEAST alles um die zentrale Frage, wer das „Biest“ wohl sein könnte. Ist es Pascal, der mit den grausamen Morden in Verbindung gebracht wird? Ist es die Gesellschaft, die Schuldzuweisungen vornimmt und sich auf das nächstbeste Opfer stürzt? Oder ist es gar Moll selbst, die ein düsteres Geheimnis zu hegen scheint?
Etwas „banal“ mögen die einen vielleicht dazu sagen, „philosophisch“ die anderen. Aber wenn ein Film nachwirkt und man sich auch noch im Nachhinein mit dem Gesehenen auseinandersetzt, dann ist das für mich ein Zeichen für einen gelungenen Film. Und genau das hat BEAST bei mir bewirkt.
BEWERTUNG
Letterboxd: 4 von 5
Moviepilot: 8 von 10 (Ausgezeichnet)

TIC
OT: TIC | Land & Jahr: USA, 2019 | Regie: Ben Nicholas | Darsteller:innen: Kate Middleton, Brian Miskell, Ned Van Zandt u.a. | Laufzeit: ca. 16 min
In TIC werten ein alternder Ermittler und seine jüngere Kollegin Amazon-Reviews aus, die sehr wahrscheinlich den Taten eines Serienkillers zuzuordnen sind. Der mutmaßliche Serienkiller verfasste Amazon-Reviews mit fragwürdigem Humor. Da wurden etwa fünf Sterne für Vorhängeschlösser vergeben, weil sie solide halten, oder für Mülltüten zwei Sterne, weil sie bei dem Transport einer Leiche zu schnell reißen.
Diesen „Humor“ hat Drehbuchautor und Regisseur Ben Nicholas aufgegriffen und auf seinen 15-minütigen, von wahren Begebenheiten inspirierten Kurzfilm übertragen, was mich zugegeben mit etwas gemischten Gefühlen zurückgelassen hat.
Auf der einen Seite sieht der Film wirklich gut aus. Laut der Kickstarter-Seite des Filmprojekts wurde auf 16mm gedreht, was ein körniges Bild und einen angenehm aus der Zeit gefallenen Look erzeugt. Auch Montage, Musik sowie Schauspiel passen sehr gut und aus rein handwerklicher Sicht wäre es durchaus ganz spannend, zukünftig noch mehr von Ben Nicholas‘ kreativem Schaffen zu sehen.
Nur hinterlässt eben der Humor bei mir ein flaues Gefühl in der Magengegend. Immerhin geht es um schreckliche Taten, die begangen wurden und oben drein basiert die Geschichte, wie bereits erwähnt, auf wahren Begebenheiten. Ich stelle mir die Frage, ob der Humor ggf. das Publikum selbst als „Fans“ solcher Gräueltaten entlarven soll und dem Film dadurch eine Metaebene á la FUNNY GAMES verliehen wurde, oder ob dem Täter nicht viel eher – wenn auch vermutlich unbeabsichtigt – sogar ein Denkmal gesetzt wurde?
Interessant, aber diskussionswürdig!
Link zum Kurzfilm (OV):
https://vimeo.com/289328723
BEWERTUNG
Letterboxd: 2,5 von 5

LUCA
OT: LUCA | Land & Jahr: USA, 2021 | Regie: Enrico Casarosa | Darsteller:innen: Jacob Tremblay, Jack Dylan Grazer, Emma Berman u.a. | Freigabe: Empfehlung ab 0 Jahren | Laufzeit: ca. 101 min
Einige hatten im Vorfeld ein CALL ME BY YOUR NAME für Kinder erwartet. Die Prämisse, dass Meeresbewohner:innen die Oberfläche erkunden und sich an Land in Menschen verwandeln, könnte aber auch ein wenig an ARIELLE, DIE MEERJUNGFRAU erinnern.
Luca lebt unter dem Wasser und tagträumt davon, wie es wohl wäre, oberhalb der Meeresoberfläche zu sein. Als er Alberto kennenlernt – ein Junge der ebenfalls unter Wasser zu leben scheint, den Luca aber noch nie zuvor gesehen hat – wird sein Traum Wirklichkeit und er lernt die Welt an Land kennen. Allerdings erfährt er auch, was es bedeutet „anders“ zu sein, anders als die „normalen“ Menschen.
Vielleicht mag LUCA ein wenig das Flair von CALL ME BY YOUR NAME einfangen. Dies kann ich jedoch nicht beurteilen, da ich CALL ME BY YOUR NAME selbst noch nicht gesehen habe. Ja, es gibt auch Anleihen an andere Werke, aber das Thema selbst ist so alt, dass dies wohl nicht ausbleibt. Daher ist LUCA für mich dennoch ein relativ eigenständiger Coming of Age-Film über einen Jungen, der die weite Welt sehen und mehr über sie erfahren will. Und natürlich ist es eine Geschichte über Freundschaft, aber auch eine Geschichte über Monster bzw. über das Monster im Menschen und wie es vielleicht bezwungen werden könnte.
Das sieht alles schön aus, ist wundervoll animiert und fantasievoll erzählt. Für die Figuren und das Erscheinungsbild der Welt wurde merklich viel Liebe zum Detail bewiesen. Nur was die Story angeht, sind ein paar Logiklöcher zu finden und es fehlt ein wenig die Magie mit der hätte erklärt werden können, warum sich die Meeresbewohner:innen an Land zu Menschen verwandeln.
Doch LUCA erzählt seine Geschichte mit so viel Leichtigkeit und kindlicher Naivität, dass die kleinen Ungereimtheiten während des Schauens kaum ins Gewicht fallen. Denn der Film ist nicht für den Kopf gemacht. Er ist für das Kinderherz gemacht und für alle jene, die sich mit Freude an die eigene Kindheit zurückerinnern. Daran, wie es war, als alles noch möglich erschien, als man Dinge zum ersten Mal ausprobiert hat und als man sich gefragt hat, was man einmal werden will, wenn man einmal groß ist und „glücklich“ die einzige Antwort darauf war. So ist LUCA ein ungeheuerliches See… äh Sehvergnügen.
BEWERTUNG
Letterboxd: 4 von 5
Moviepilot: 8 von 10 (Ausgezeichnet)

I’M THINKING OF ENDING THINGS
OT: I’M THINKING OF ENDING THINGS | Land & Jahr: USA, 2020 | Regie: Charlie Kaufman | Darsteller:innen: Jessie Buckley, Jesse Plemons, Toni Collette, David Thewlis u.a. | Freigabe: Empfehlung ab 12 Jahren | Laufzeit: ca. 134 min
Nachdem mich Jessie Buckleys schauspielerische Darbietung in BEAST beeindruckt hatte, habe ich nachgeschaut, in welchen Filmen sie außerdem mitgespielt hat und ob mich davon der eine oder andere interessieren könnte. In ihrer Filmographie war u.a. auch I‘M THINKING OF ENDING THINGS aufgeführt, von dem ich zwar schon hier und da in diversen Podcasts etwas gehört hatte, der aber dennoch aus mir unerfindlichen Gründen bisher an mir vorbeigegangen ist.
Zudem muss ich gestehen, dass ich mit Charlie Kaufmans filmischem Schaffen wenig vertraut bin. Aus seiner Feder stammen u.a. Klassiker wie BEING JOHN MALKOVICH oder ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND – beides Filme, die ich (noch) nicht gesehen habe. Einzig ADAPTATION mit Nicholas Cage ist mir bis dato bekannt gewesen. Doch nun kenne ich einen weiteren Charlie Kaufman-Film, denn für I‘M THINKING OF ENDING THINGS hat dieser sowohl das Drehbuch geschrieben als auch Regie geführt
Und darum geht es: Eine junge Frau fährt mit ihrem Freund zu dem Farmhaus seiner Eltern, um diese das erste Mal kennenzulernen. Doch währenddessen passieren seltsame Dinge. Punkt. Mehr möchte ich nicht verraten. Nur so viel – für die junge Frau fühlen sich einige Dinge merkwürdig an. Irgendwie falsch.
Und genauso fühlen sich auch für das Publikum so manche Dinge in diesem Film falsch an. Die merkwürdigen Dialoge, die instabilen Figuren, die unangenehm langen Szenen. Unangenehm ist auch das fast quadratische Bildformat. Eine Welt in Kacheln. Man möchte daraus ausbrechen und das große Ganze sehen. Doch stattdessen klebt man immer ganz nah an den Figuren, an ihren Köpfen, vor allen Dingen an dem der jungen Frau. Und man hört ihre Gedanken. Ihre Zweifel. An allem. An allen. An sich selbst.
I‘M THINKING OF ENDING THINGS ist kein einfach zu greifender Film. Er ist eine Herausforderung. Ein surrealistischer, zuweilen verwirrender (Bad) Trip durch die Psyche eines zutiefst depressiven Menschen. Darauf muss man sich einlassen können, denn ein leicht zu ertragender Stoff ist das gewiss nicht.
Auf der anderen Seite strotzt der Film nur so vor kreativen Einfällen. Das bereits angesprochene Bildformat rahmt die Protagonist:innen förmlich ein. Doch selbst in der Bildkomposition lassen sich immer wieder Rahmungen finden. Ein Rahmen im Rahmen im Rahmen. Inszenatorisch gibt es so manche Überraschung, durch die man sich das eine oder andere Mal im falschen Film wähnt – und das ist positiv gemeint. Was das Schauspiel angeht, so sind Jessie Buckley als junge Frau sowie Jesse Plemons als ihr Freund über jeden Zweifel erhaben und der Soundtrack ist einfach nur fantastisch und genau richtig eingesetzt.
Insofern man also von dem Thema nicht getriggert wird und man sich darauf einlassen kann, wie das Ganze dargeboten wird, dann bekommt man mit I‘M THINKING OF ENDING THINGS ein kunstvoll erzähltes und handwerklich hervorragendes Psychodrama.
BEWERTUNG
Letterboxd: 4,5 von 5
Moviepilot: 9 von 10 (Herausragend)
Ein Gedanke zu “MONTHLY SHORTS No. 3”