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Say his name.
Nachdem der Candyman bereits 1992 zum ersten Mal auf der großen Leinwand sein Unwesen trieb, ist dieser nun 2021 noch einmal in die Kinos zurückgekehrt. Eigentlich sollte CANDYMAN bereits im Juni 2020 in den Kinos anlaufen, allerdings wurde der Starttermin, wie bei vielen anderen Filmen auch, aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben. Der Film ist die zweite Regiearbeit von Regisseurin Nia DaCosta, welche auch gemeinsam mit Win Rosenfeld und Jordan Peele das Drehbuch geschrieben hat.
In CANDYMAN begibt sich der junge Künstler Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II) auf die Suche nach einer Inspirationsquelle für seine nächsten Werke. Einen Pinsel hatte dieser seit geraumer Zeit nicht mehr in der Hand und eine wirkliche Eingebung lässt noch auf sich warten. Doch in wenigen Tagen schon soll eine Kunstausstellung stattfinden und dafür muss und will er etwas vorweisen.
Der Funke scheint überzuspringen, als Anthony von erschütternden Ereignissen hört, die sich vor mehreren Jahren in Cabrini-Greene, einem Stadtteil von Chicago, zugetragen haben sollen. Auf eine unerklärliche Art fasziniert von dieser Story, stellt er einige Nachforschungen an, die ihn bis hin zu den Überresten des inzwischen fast völlig gentrifizierten Stadtteils Cabrini-Greene führen. Dort trifft er auf William Burke (Colman Domingo), einem Mann, der seit seiner Kindheit in diesem Viertel lebt. Dieser berichtet Anthony schließlich von dem Candyman, einer tragischen Schreckgestalt.
Wie manisch beginnt Anthony daraufhin wieder zu malen. Er steigert sich immer mehr in diese Geschichte hinein. Schließlich findet die Ausstellung statt, wo er ein Werk mit dem Titel „Say his name“ präsentiert. Das Werk besteht aus einem Spiegel sowie kleineren Zeichnungen. Eine Anleitung lädt die Betrachter:innen dazu ein, in den Spiegel zu schauen und fünfmal den Namen des Candyman zu sagen. Allerdings ahnt Anthony nicht, welches Grauen er damit noch heraufbeschwören soll.

Die Wiederbelebung eines Horrorfilm-Mythos.
Wenn seit dem ersten Film fast drei Dekaden vergangen sind, dann ist eine grundlegende Skepsis durchaus angebracht. Denn, warum sollte man eine längst totgeglaubte Horrorfilm-Reihe wiederbeleben? Die Antwort würde in den meisten Fällen wohl lauten: Des Geldes wegen.
Doch in diesem Fall scheint das Geld nicht der vordergründige Antrieb für eine Neuauflage gewesen zu sein. Viel eher fühlt sich der vorliegende Film so an, als hätten die Filmemacher:innen wirklich etwas zu erzählen. Als würde ihnen etwas auf der Seele brennen, dass sie unbedingt loswerden wollten und wofür sich die Figur des Candyman wunderbar angeboten hätte.
So ist das Feedback zu dem Film auch überwiegend positiv. In der Podcast-Folge „Die Rückkehr des Hakenmörders“ des Formats Zwei wie Pech und Schwafel meinte der YouTuber und Podcaster David Hain etwa, dass CANDYMAN der beste Film von Jordan Peele sei, nur das Jordan Peele bei diesem Film eben selbst nicht Regie geführt habe. Dieser Aussage kann ich mich zwar nicht ganz anschließen, da GET OUT (2017) meines Erachtens nach immer noch Jordan Peeles bis dato bester Film ist. An die Qualitäten eines WIR (OT: US, 2019) kann CANDYMAN aber durchaus heranreichen. Und auch der Vergleich zu den angeführten Filmen kommt nicht von ungefähr. Denn wie schon erwähnt, hat Jordan Peele am Drehbuch mitgewirkt und wie ebenfalls bereits erwähnt, hatten die Filmemacher:innen offenbar etwas zu sagen.

Gruseliges Gesellschaftsdrama a.k.a. Social Thriller
Dass es eine Message gibt, spiegelt sich bereits in dem Genre wieder, welchem CANDYMAN zugeordnet werden kann: Social Thriller. Der Bergriff „Social Thriller“ beschreibt einen Film, in dem die Gesellschaft das eigentlich Böse darstellt. In dieses Genre ordnet Jordan Peele seine Filme ein und genau dort ist auch Nia DaCostas CANDYMAN zu verorten. Es geht nicht einfach nur um einen gruseligen Mann mit Hakenhand, der durch eine bestimmte Zeremonie heraufbeschworen wird und nach dem Leben derer trachtet, die ihn gerufen haben. Es geht um ganz aktuelle Themen wie Rassismus und Gentrifizierung.
Dabei jonglieren die Filmemacher:innen gekonnt mit diversen Ängsten. Einmal mit der kindlichen Angst vor dem Unbekannten, vor dem Bösen, vor dem, was in der dunklen Ecke, unter dem Bett oder im Schrank lauert. Der Candyman ist die Personifizierung dieser Angst. Einmal gerufen, kann er jeden Moment kommen, um dich zu töten.
Hinzu kommen die Ängste der Black People of Color in den USA: Ihre Angst vor einer völligen Machtlosigkeit. Aber auch die eigene grausame Geschichte, die noch längst nicht verwundet ist, spielt darin eine Rolle. Oberflächlich betrachtet scheinen sie es geschafft zu haben. Sie haben sich emanzipiert, sind Teil der US-amerikanischen Gesellschaft und leben ihre Leben. Sie haben Jobs, verdienen gutes Geld und gehen wählen. Betrachtet man dieses Bild aber etwas genauer, so offenbart sich, dass dieses Bild immer noch nach einem ähnlichen Muster gezeichnet ist, wie noch vor 30 Jahren.
Ja, es ist schon unheimlich, wenn der Candyman die ersten Male auftritt, um sich seine Opfer zu holen. Das ist alles sehr gut inszeniert und dürfte Horrorfans zufrieden stellen. Doch, was wirklich den Angstschweiß auf die Stirn treibt, ist der strukturelle Rassismus. Er ist hier das eigentliche Monster. Und davor müssen sich alle in Acht nehmen.

Der Candyman-Mythos lebt fort.
Doch der Film kann nicht nur inhaltlich zu überzeugen, auch formal ist hier wenig zu beanstanden. Das Bild ist sehr wertig und die Kamera weiß stets gekonnt mit der Wahrnehmung des Publikums zu spielen. Robert Aiki Aubry Lowe hat einen wirklich fantastischen Soundtrack beigesteuert, der noch einmal zusätzlich für Gänsehaut sorgt.
Während einige der Nebenfiguren etwas flach gezeichnet sind und so wirken, als dienten sie lediglich dazu die Aussage des Films zu unterstreichen, sind es vor allen Dingen die Hauptfiguren, denen die nötige Tiefe verliehen wurde – sowohl von den Autor:innen, als auch von den Schauspieler:innen. Yahya Abdul-Mateen II verkörpert sehr gut den aufstrebenden Künstler Anthony, der nicht weiß wie ihm geschieht und der uns immer weiter in sein eigenes Unheil mit hineinzieht. Daneben ist Teyonah Parris in der Rolle von Brianna hervorzuheben. Sie ist mehr als einfach nur Anthonys Freundin. Sie verkörpert eine starke, selbstbewusste Frau, die weiß was sie will und wie sie sich anderen gegenüber behaupten kann.
Was leider nicht ganz so gelungen ist, sind die digitalen Effekte. Hier merkt man, dass es sich eben um keine Big Budget-Produktion handelt. Glücklicherweise hält sich der Film mit digitalen Effekten etwas zurück – zumindest bis er auf das Finale zusteuert. Doch, selbst abgesehen von den digitalen Effekten, wirkt das Finale reichlich übertrieben. Es enthält zwar Anleihen an den ersten Candyman-Film, allerdings wird doch etwas zu dick aufgetragen.
Immerhin wird der Film im Finale zu einem schlüssigen Ende geführtführt. Wobei Ende nicht unbedingt das richtige Wort ist. Zum einen, weil es durchaus noch genügend Möglichkeiten gäbe, um mit Variationen zu spielen und den Mythos rund um die Figur des Candyman zu erweitern. Zum anderen, weil das im Film benannte gesellschaftliche Problem natürlich noch längst nicht gelöst ist.
Abschließend möchte ich noch die Frage klären, ob man sich CANDYMAN ansehen kann, ohne zuvor einen anderen Teil aus der Reihe gesehen zu haben. Die Antwort darauf lautet: Ja. Auch ich habe den Film im Kino gesehen und mir erst im Anschluss daran den Original-Film zu Gemüte geführt. CANDYMAN ist zwar ein Sequel, der einzelne Elemente aus dem ersten Teil aufgreift und den Mythos weitererzählt. Aber gleichzeitig handelt es sich bei dem Film auch um eine Neuerzählung, welche diesen Mythos für eine neue Generation von Kinogänger:innen wieder zum Leben erweckt.
Und hinzu kommt, dass CANDYMAN einer der besten und wohl auch wichtigsten Horrorfilme der letzten Jahre ist.
CANDYMAN. CANDYMAN. CANDYMAN. CANDYMAN. CANDYMAN.
OT: CANDYMAN
VÖ: 26.08.2021 (Kinostart)
Land & Jahr: USA, CAN, 2021
Regie: Nia DaCosta
Darsteller:innen: Yahya Abdul-Mateen II, Teyonah Parris, Colman Domingo u.a.
Vertrieb: Universal Pictures
Laufzeit: ca. 91 min
Freigabe: FSK 16
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